Schaubilder. Bilder als Wissensmodelle

Schaubilder und Diagramme gewinnen heute in allen Bereichen zunehmend an Bedeutung. Dabei dienen diese Infografiken nicht nur der Veranschaulichung, sondern sie stellen Beziehungen her, vermitteln Einsichten und liefern bildliche Argumente. Eine wesentliche Aufgabe ist die Darstellung, Ordnung und Vermittlung von Wissen. In einer vernetzten Gesellschaft in der das Bild zu einem Leitmedium geworden ist und tagtäglich neue Informationen produziert werden, ist das Bedürfnis nach visuellen Übersetzungen und einer sichtbaren Ordnung mehr als nachvollziehbar.

Diagramme sind im Bereich der Kunst kein völlig neues Phänomen, doch lässt sich in den letzten zehn Jahren ein wachsendes Interesse an diesem Bildtypus beobachten. Unter dem Begriff der Diagrammatik hat sich ein neues Forschungsfeld entwickelt. Gründe dafür liegen in der Annäherung von Kunst und Wissenschaft, der fortschreitenden Entwicklung eines erweiterten Bildbegriffs, in der Auseinandersetzung mit abstrakten Darstellungsformen der Kunstgeschichte und der Anerkennung des Diagramms als theoriebildendes Analyseinstrument. Diagramme werden nicht mehr nur als Illustration verstanden, sondern als eigenständige, visuelle Form untersucht. Im Miteinander von Bild, Schrift und einer räumlich-grafischen Anordnung wird eine Form des anschaulichen Denkens ermöglicht, das ein ganz eigenes Erkenntnispotential liefert.

Die aktuelle Themenausstellung und Tagung »Schaubilder« fragen im Bielefelder Kunstverein nach den aktuellen Auswirkungen dieser skizzierten Entwicklungen auf die Bildwelten und Visualisierungsstrategien in der Kunst. Mit Beiträgen aus der Kunstwissenschaft, der Philosophie und dem Informationsdesign möchte die Tagung zu einer weitergehenden Reflexion der Ausstellungsthematik anregen, eine historische Einordnung ermöglichen und Einblicke in die aktuelle Verwendung von Diagrammen geben.

Anmeldung und Veranstaltungsgebühr

Aufgrund der begrenzten Teilnehmerzahl ist eine schriftliche Anmeldung per Email an kontakt@bielefelder-kunstverein.de oder per Fax (0521-178810) bis spätestens Montag, den 14. Januar 2013 erforderlich. Die Veranstaltungsgebühr der Tagung beträgt 10 Euro (ermässigt 6 Euro).

Publikation

Im Frühjahr 2013 erscheint eine Publikation mit den Tagungsbeiträgen, einer Dokumentation der Ausstellung und weiterführenden Texten.

Bielefelder Kunstverein, Tagung »Schaubilder. Bilder als Wissensmodelle«, Foto: Ralf Litera

PROF. DR. SUSANNE LEEB
»Erziehung/Emanzipation: Diagramme in der zeitgenössischen Kunst«

Im Unterschied zu einer eher rationalistischen Verwendung von Diagrammen in den Bereichen der Ökonomie, Pädagogik oder Politik, zeichnen sich die meisten künstlerischen Ansätze im Umgang mit Diagrammen durch einen offenere, unbestimmtere Herangehensweise aus. Die Zwecke sind dabei vielfältig: Verbreitung von Gegeninformation zum Zweck der Emanzipation, als Vorschläge für eine andere Organisation sozialer Zusammenhänge oder als Auflösung bestimmter Ordnungsschemata. Als Formen der Veranschaulichung von Information wohnt Diagrammen aber fast immer auch eine gewisse Didaktik inne. Der Vortrag diskutiert anhand künstlerischer Arbeiten von Alice Creischer/Andreas Siekmann, Harun Farocki, Ricardo Basbaum und Amy Sillman wie es um das Verhältnis zwischen Erziehung und Emanzipation bestellt ist.

Susanne Leeb ist Professorin für zeitgenössische Kunst am Kunsthistorischen Seminar der Universität Basel. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Kunsttheorie, Kunst und Politik sowie postkoloniale Kunstgeschichte. Publikationen (Auswahl): Materialität der Digramme. Kunst und Theorie, Polypen, Berlin 2012; Der Unort von Karten und das Nirgendwo der Kunst. Drei Weisen der Entortung, in: Stephan Günzel, Lars Nowak (Hg.), KartenWissen. Territoriale Räume zwischen Bild und Diagramm, L. Reichert Verlag, Wiesbaden 2012; A Line with Variable Direction, which Traces No Contour, and Delimits No Form, in: Nikolaus Gansterer (Hg.), Drawing a Hypothesis, Wien/New York 2011.

Bielefelder Kunstverein, Tagung »Schaubilder. Bilder als Wissensmodelle«, Foto: Ralf Litera

PROF. DR. KIRSTEN WAGNER
»Schaubilder des Sozialen. Die Schönheit der Bevölkerung«

Im 19. Jahrhundert wird eine Reihe neuer grafischer Formen des Diagramms entwickelt. Zu den historischen Formen des Baum-, Linien- und Kurvendiagramms treten Balken- und Säulendiagramme, Kartogramme und Stereogramme sowie Netze. Ihren Einsatz finden sie in der selbst noch jungen Wissenschaft der statistisch verfahrenden Demographie, die sich als Teil der Anthropologie versteht. Mit diesen Schaubildern des Sozialen nehmen die Bewegungen und Strukturen der Bevölkerung erstmals eine sichtbare Gestalt an. Als solche dienen sie der Aufdeckung der verborgenen ‘Gesetzmäßigkeiten des Gesellschaftslebens’. Der Beitrag stellt ausgewählte Beispiele an entsprechenden Diagrammen und Kartogrammen vor, die von anderen medialen Verfahren der Visualisierung sozialer Strukturen flankiert werden.

Kirsten Wagner ist Professorin für Kulturwissenschaft und Kommunikationswissenschaft an der Fachhochschule Bielefeld. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Theorie und Geschichte räumlicher Wissensorganisation, Körperbilder in der Architektur, Ästhetik und Wahrnehmungstheorien der Moderne, Bild der Stadt, Strukturbilder. Publikationen (Auswahl): Images of the Body in Architecture. Anthropology and Built Space, Wasmuth, Tübingen 2013; Affektive Dinge. Objektberührungen in Wissenschaft und Kunst, Wallstein, Göttingen 2011; Möglichkeitsräume. Zur Performativität sensorischer Wahrnehmung, Erich Schmidt Verlag, Berlin 2007.

Tagung

Samstag, 19. Januar 2013

Programm 

Ab 11:30 Uhr    Akkreditierung

   12:00 Uhr    Begrüßung und Einführung:
                Thomas Thiel, Kurator der Ausstellung
                »Schaubilder« und Leiter des
                Bielefelder Kunstvereins

   12:15 Uhr    Vortrag »Erziehung/Emanzipation.
                Diagramme in der zeitgenössischen
                Kunst« von Prof. Dr. Susanne Leeb,
                Kunsthistorikerin, Universität Basel

   13:30 Uhr    Vortrag »Philosophische
                Diagrammatik« von Marcus Steinweg,
                Philosoph und Künstler, Berlin

   14:30 Uhr    Pause und Rundgang durch die
                Ausstellung »Schaubilder« mit
                Thomas Thiel und Anna Jehle

   15:30 Uhr    Vortrag »Wissensvermittlung im
                Alltag. Einblicke in die Praxis des
                aktuellen Informationsdesigns« von
                Nicolas Bourquin, Informations-
                grafiker und Gründer des Grafikbüros
                onlab, Berlin

   16:30 Uhr    Pause

   17:00 Uhr    Vortrag » Schaubilder des Sozialen.
                Die Schönheit der Bevölkerung« von
                Prof. Dr. Kirsten Wagner, Kultur-
                wissenschaftlerin, Fachbereich
                Gestaltung, Fachhochschule Bielefeld

   18:00 Uhr    Ende der Veranstaltung


PROJEKTFÖRDERUNG:



Abstracts

Bielefelder Kunstverein, Tagung »Schaubilder. Bilder als Wissensmodelle«, Bielefelder Kunstverein, 2013

NICOLAS BOURQIN
»Wissensvermittlung im Alltag. Einblicke in die Praxis des aktuellen Informationsdesigns«

Visuelle Kommunikation befindet sich an der Schnittstelle unterschiedlicher Fachgebiete, die unsere Gesellschaft prägen und charakterisieren. Mit den Finanz-, Klima- und Energiekrisen befinden wir uns in einer Epoche des Paradigmenwechsels. Der Wunsch, Einblick in die Daten, Strukturen und Arbeitsweisen zu bekommen wächst auf Kundenseite. Sowohl Unternehmen als auch öffentliche und andere Institutionen werden vermehrt dazu aufgefordert ihre Tätigkeiten darzulegen. Transparenz ist inzwischen die wichtigste Grundlage, um Vertrauen herzustellen.

Design hat eine erzählerische Funktion. Mit den Mitteln der Gestaltung können Meinungen gebildet werden. Die zwei Publikationen »Data Flow« (Gestalten Verlage, Berlin 2008 und 2010) stellen einen Versuch dar, die heutige Auffassung von Infografiken über ihre gegenwärtigen Ausdrucksformen hinaus zu erweitern. Eine akademische Herangehensweise wurde dabei außen vor gelassen, um vielfältige Inspirationsquellen für visuelle Autoren aufzuzeigen.

Nicolas Bourquin lebt und arbeitet als Creative Director in Berlin. Er ist Gründer des Design Studios onlab (2002) und Mitbegründer des unabhängigen Verlags etc publications. Bourquin hat einen ständigen Lehrauftrag an der Kunstakademie in Bremen und hält zahlreiche Vorträge im In- und Ausland und konzipiert unter anderem renommierte Großprojekte, wie beispielsweise die deutsche Beteiligung der Architekturbiennale in Venedig (2008). Publikationen (Auswahl): Los, Dos and Tres Logos Gestalten Verlag, Berlin 2002, 2004, 2006; Data Flow 1 + 2, Visualising Information in Graphic Design, Gestalten Verlag, Berlin 2008 und 2010.

Bielefelder Kunstverein, Tagung »Schaubilder. Bilder als Wissensmodelle«, Foto: Ralf Litera

MARCUS STEINWEG
»Philosophische Diagrammatik«

Statement Diagramme:
1. Ich mache Begriffsdiagramme.
2. Jedes Diagramm ist die Formalisierung einer Idee
3. Die Idee kann ein einzelner Begriff sein, der in ein Verhältnis zu anderen Begriffen gesetzt wird, oder ein Ensemble von Begriffen: eine Begriffswolke.
4. Es gibt keinen Begriff, der nicht bereits eine Begriffswolke wäre.
5. Begriffswolken verbinden Transparenz mit Intransparenz, Einfachheit mit Komplexität.
6. Man kann man durch die Wolke hindurchsehen und alles ist klar, mal unterbricht die Wolke die Sicht und nimmt einem die Orientierung.
7. Die Diagramme müssen so klar wie möglich sein, aber sie dürfen keine Klarheit vortäuschen.
8. Nie geht es darum, einen ästhetischen Mehrwert zu erzeugen.
9. Es geht um einen Gedanken, um Philosophie.
10. Was klar ist, kann nur richtig sein.

Marcus Steinweg ist Philosoph und Künstler. Er lebt und arbeitet in Berlin. Steinweg hält zahlreiche Vorträge im In- und Ausland. Er gibt im Merve Verlag die Zeitschrift Inaesthetics heraus. 2011 kuratierte er die Ausstellung »Kunst und Philosophie« im Neuen Berliner Kunstverein und konzipiert aktuell die Vortragsreihe »Überstürztes Denken« an der Volksbühne, Berlin. Publikationen(Auswahl): Behauptungsphilosophie, Merve Verlag, Berlin 2006; Aporien der Liebe, Merve Verlag, Berlin 2010; Kunst und Philosophie / Art and Philosophy, Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2012; Philosophie der Überstürzung, Merve Verlag, Berlin 2013.